Sport und Sucht - Sucht durch Sport?
Der Sport hat vielfältige Potentiale. Er kann protektiv gegen Suchtentwicklung wirken und zur Therapie psychischer Beeinträchtigungen eingesetzt werden - er kann aber auch zu ihrer Entwicklung beitragen
Sport kann gesund (salutogen) sein, nicht nur für den Körper, sondern auch für Seele, Geist und Psyche. Aber von selbst (auto-salutogen) wirkt er nicht automatisch segensreich. Wie man den Sport gestaltet, so wirkt er.
Sport kommt als hilfreiches Element bei der Therapie vieler körperlicher und psychischer Erkrankungen zum Einsatz und entfaltet dort eine hilfreiche und heilsame Wirkung. Und auch der Leistungssport hat großes Potential, z.B. die körperliche und psychische Entwicklung junger Menschen positiv zu beeinflussen. Dies kann er aber nur dann auch wirklich tun, wenn er auf eine Weise betrieben wird, die für Körper, Geist und Seele tatsächlich gesundheitsverträglich ist.
Leistungsorientierung in einer gemäßigten Form kann jungen Menschen in ihrer Entwicklung helfen. Sport so betrieben kann auch präventiv gegen die Entwicklung von Sucht- und Abhängigkeitsverhalten wirken. Wenn die Leistung aber zum dominierenden oder gar alleinbestimmenden Ziel von Verbänden, Vereinen, Trainer*innen und Betreuer*innen sowie der Athlet*innen selbst wird, dann verkehren sich die großen Potentiale des Sports auch leicht in ihr Gegenteil.
Extrem, exzessiv betriebener Hochleistungssport, zumal im Jugendalter, lässt sich auf keiner Ebene mehr der Sphäre der Gesundheit zuordnen. Er stellt vielmehr eine Risikoentwicklung dar und birgt die Gefahr zunehmender, sich selbst permanent verstärkender Eskalation. Exzessiv betrieben kann Sport auch zur Sucht werden und kann so auch andere Formen von Sucht und Abhängigkeitsverhalten fördern. So haben Studien in Deutschland keine protektive Wirkung von Leistungssport auf die Entwicklung von Alkoholmissbrauch unter jungen Menschen zeigen können - im Gegenteil (Brettschneider und Kleine 2002; Locher 2001; Sygusch 1998). In Bezug auf Nahrungsergänzungsmittel und Medikamente scheint Leistungssport das Interesse von Jugendlichen zu wecken oder zu verstärken (Sallen 2015).
Untersuchungen von Psychiatern in Frankreich haben gezeigt, dass sich unter drogenabhängigen Patienten auffällig viele ehemalige Leistungssportler befinden (Lowenstein 2005). Eine Studie im Auftrag der französischen Regierung ergab den Befund, dass Jugendliche, die mehr als acht Stunden pro Woche intensiv Sport trieben, mehr legale und illegale Drogen konsumieren würden als Vergleichsgruppen mit weniger häufigem Training (mit Ausnahme von Nikotinkonsum). Mit steigendem Leistungssportengagement einher gehe auch der Missbrauch psychoaktiver Substanzen, besonders in Sportschulen.
Als Gründe für diese eskalatorische Risikoentwicklung, die Hochleistungssport in der Entwicklungsphase offenbar darstellen kann, werden u.a. soziale Faktoren genannt. Desozialisierung, der Verlust an einer vertrauten sozialen Umgebung, stellt hier offenbar ein beträchtlicher Risikofaktor dar:
"*Dieser Befund sollte beunruhigen, denn er spricht dafür, dass im Spitzensport womöglich eine zu starke Fokussierung ausschließlich auf Sportkontakte erfolgt, durch die junge Menschen vor allem entlang ihrer Eignung zum sportlichen Erfolg nachgefragt und nicht mehr als komplexe Menschen wahrgenommen werden. Eine 'normale' gesellschaftliche Sozialisierung droht so unzureichend nur stattfinden zu können. Deshalb sollte in Deutschland mit dem Prinzip der Dualen Karriere – der Gleichzeitigkeit von Spitzensport und Vorbereitung auf ein qualifiziertes berufliches Leben danach – vor allem aus Sicht der Aktiven selbst ernster als bisher gemacht werden: 'Die Aussage ‚Sport oder Studium‘ ist aus Sicht der Aktiven nicht tragbar' (Athletenkommission 2009)" (zitiert nach A. Singler 2012, S. 150).
Wenn wir also wollen, dass der leistungsorientierte Sport, den wir betreiben und jungen Menschen zum Angebot machen, auch tatsächlich der Gesundheit zuträglich ist, dann müssen wir ihn so gestalten, dass die positiven Potentiale des Sporttreibens überhaupt zur Entfaltung kommen können. Dafür dürfen wir nicht irgendwelche überzogenen Leistungserwartungen von außen anvisieren und in den Mittelpunkt unserer Sportangebote stellen, sondern die Bedürfnisse, Befindlichkeiten und Potentiale jedes einzelnen der uns anvertrauten jungen Menschen.