Harald Strutz übergibt USC Mainz Bilder von Eberhard Stroot

Der frühere Dreispringer und Präsident von Mainz 05 besucht die USC-Geschäftsstelle - und erinnert an einen alten Leichtathletik-Freund, der als Sportler und Künstler Erfolge feierte

Es war ein ungewöhnlicher Besuch am ersten Freitagmorgen im Mai. Einer der dienstältesten Mitglieder des USC Mainz, der frühere Dreispringer und Fußball-Funktionär Harald Strutz, schaute in der Geschäftsstelle des USC Mainz vorbei. Und im Gepäck hatte er drei Werke des früheren Zehnkämpfers Eberhard Stroot, der nach seiner sportlichen Karriere eine bemerkenswerte und vielbeachtete Laufbahn als Künstler einschlug. "Ich bin seit über 60 Jahren im Verein, bin Mitglied des Fördervereins und fühle mich dem Club nach wie vor sehr verbunden", begründete der langjährige Präsident des FSV Mainz 05. "Ich denke, die Bilder von Eberhard Stroot können keine bessere Heimat finden als den USC Mainz." 

Der 72-jährige Harald Strutz, im Verein seit 1. November 1961, war einst einer der besten Dreispringer Deutschlands. Er war Deutscher Jugend- und Juniorenmeister, Deutscher Hochschulmeister, mit 16,21 Metern 1970 sogar Inhaber einer Junioren-Weltbestleistung. Zweimal wurde Strutz - hinter seinem Clubkollegen, der Dreisprunglegende Michael Sauer - Deutscher Vizemeister. Er bestritt fünf Länderkämpfe zwischen 1969 und 1971, eine Verletzung beendete dann seinen Traum von der Olympiateilnahme 1972.

Diesen Traum erfüllte sich sein Zeitgenosse und späterer Vereinskamerad Eberhard Stroot 1976 im Zehnkampf (Rang 21, ohne gültigen Versuch im Stabhochgsprung). Stroot, ein Vierteljahr jünger als Strutz, begann seine Laufbahn beim TV 1847 Ettlingen und feierte dann bei der SG Siemens Karlsruhe parallel zur Feinmechanikerlehre beim namensgebenden Unternehmen und später beim USC Mainz große sportliche Erfolge. So wurde Eberhard Stroot 1970 Silbermedaillengewinner bei der Junioren-EM (7584 Punkte), mehrfacher Deutscher Jugendmeister und am 4. März 1972 in Mainz sogar Hallen-Weltrekordler im Siebenkampf mit 5716 Punkten. 1973 stellte er als DM-Zweiter im Zehnkampf seine persönliche Bestleistung auf (7864 Punkte).

Nach seiner Karriere widmete sich der Diplomsportlehrer aus dem nordbadischen Bruchhausen dann der Kunst, in der er in multiplen Ausdrucksformen, Themen und Techniken eine ähnliche Vielseitigkeit an den Tag legte wie als Mehrkämpfer in der Leichtathletik. Zu seinen eifrigsten Besuchern in Kreuztal, wo Eberhard Stroot sich nach seiner Mainzer Zeit niederließ, zählte Harald Strutz, auch als Kunde. Er habe wirklich Ahnung von Kunst, so erklärte Stroot einmal in einer Reportage über ihn in der Mainzer Rhein-Zeitung 1989 (siehe Foto unten).  (A.S.)

Zum 80. Geburtstag von Dieter Augustin

Von Manfred Letzelter

Prof. Dr. phil. Dieter Augustin feierte am 1.Mai 2023 seinen achtzigsten Geburtstag,  exakt 60 Jahre nach dem Beginn seiner akademischen Laufbahn.   Nach der Volksschule in Clausen, einem Dorf nahe Pirmasens und neun Jahren am dortigen Neusprachlichen Gymnasium mit abschließendem Abitur immatrikulierte er sich an der Universität in Freiburg und studierte Englisch, Leibeserziehung und Pädogogik.

Am 1. März 1966 wechselte er gemeinsam mit seinem Freund, dem Autor dieses Beitrags, und dessen Verlobter Helga Kries nach Mainz. Am damaligen "Institut für Leiberserziehung" legte er im WS 1967/68 das Examen als Diplomsortlehrer ab. Das Englischexamen folgte ein Jahr später. Nach einer Tätigkeit an einem Gymnasium in Hanau wurde er 'Lehrkraft für Leichtathletik und Fußball' am Mainzer Institut. Nach der Promotion mit einem leistungsdiagnostischen Thema und dem Rigorosum mit 'summa cum laude' sowie habilitationsgleichen Leistungen wurde er 'Professor für Leichtathletik und Fußball'. Viele Jahre betreute er die Unimannschaft 'Fußball' und wurde als Leiter der Kommission 'Fußball' der 'deutschen Gesellschaft für Sportwissenschaft' bestätigt. Er galt als Begründer der 'wissenschaftlich fundierten Spielbeobachtung' im Fußball und fand sowohl in der Trainingswissenschaft als auch in der Fußballpraxis hohe Anerkennung. Prof. Dr. Augustin wurde Nachfolger von Prof. Dr. Wischmann als Dekan des Fachbereichs 'Sportwissenschaft'. Später folgten zwei weitere Amtszeiten, in denen er den USC vielfältig unterstützt hat. Über viele Jahre war er auch Chef des Prüfungsamtes.

Augustin gehörte als Jugendlicher zu den schnellsten deutschen Sprintern, sowohl in der B- als auch in der A-Jugend. In Erinnerung ist ihm primär der Erfolg im ersten Aktivenjahr mit der 4 x 100-Meter-Staffel seines Heimatvereins TV Clausen geblieben. Die Staffel dieses kleinen Dorfvereins schlug im Zwischenlauf der DM 1962 u.a. auch den USC-Mainz und wurde im Endlauf Fünfte. 1967 war er Startmann der 1. Staffel des US Mainz, bei den Deutschen Hochschulmeisterschaften lief er im Endlauf mit 10,5 Sekunden seine Bestzeit.  Zahlreiche Verletzungen verhinderten anschließend eine Leistungssteigerung, 1968 beendete er deswegen seine Laufbahn.

Noch eine Bemerkung dazu....

Von Michael Sauer

Diese Lebensbeschreibung von Manfred Letzelter ist im guten Sinn professoral, nicht lapidar, aber beschränkt sich auf das Wesentliche. Vielleicht hätten anlässlich des runden Geburtstags noch weitere Farbtupfer auf das Bild gepasst -  so Dieters Vorliebe für schnelle Autos (schon als Student fuhr er, wenn ich nicht irre, ein wunderschönes Fiat-Cabriolet), so Mitstreiter am Mainzer Institut wie der Sportmediziner Manfred Steinbach (der erste deutsche 8-Meter-Weitspringer) oder der Sporthistoriker Norbert Müller, so die 10jährige Präsidentschaft seiner Frau Karin im Landessportbund RLP, so seine Leidenschaft für das Klavierspielen oder sein langjähriges Engagement für die Mainzer Zitadelle. Es gibt also noch genügend „Content“ für den nächsten runden oder halbrunden Geburtstag.

Marmor aus Carrara

Der Sportwissenschaftler und ehemalige Sprinter des USC Mainz, Prof. Dr. Dieter Augustin, feiert 80. Geburtstag

Er war ein guter Sprinter, auch wenn er nie die ganz großen Erfolge feierte. Er sprintete Zeiten um 10,6 Sekunden, damals, in den 1960er Jahren. Er wurde Sportwissenschaftler und verdiente sich sein Studium damit, dass er in seiner Freizeit Marmor aus dem italienischen Carara über die Alpen zurück nach Deutschland transportierte. Davon hat Professor Dr. Dieter Augustin manchen seiner ehemaligen Studierenden gerne erzählt. Aber das tat er nie in einer Art, die suggeriert hätte, dass früher alles besser gewesen sei. Er erzählte einfach gerne aus seiner Zeit, seiner persönlichen Frühzeit.

Er wurde Doktor, Professor gar. Aber es wird sich schwerlich jemand finden lassen, der ihm einen akademischen Dünkel nachsagen würde. Dieter Augustin - Ehemann der früheren Präsidentin des Landessportbundes Rheinland-Pfalz, Karin Augustin - war immer ein zugänglicher, seinem Umfeld und seinen Studierenden zugewandter Mensch. Er ist im Herzen Leichtathlet, aber sein Herz schlägt auch für den Fußball. Viele Jahre lang leitete der ehemalige Dekan des früheren Fachbereichs Sport der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz das Hauptfach Fußball. In den 90er Jahren, als mit dem legendären und viel zu früh verstorbenen Wolfgang Frank beim damaligen Zweitligisten FSV Mainz 05 endlich ein Fußballlehrer die Viererkette einführt, übte Dieter Augustin diese damalige taktische Innovation sogleich auch mit seinen Studierenden auf dem Rasen im Universitätsstadion. Am heutigen 1. Mai feiert Dieter Augustin, seit 56 Jahren (14. April 1967) Mitglied im USC Mainz, seinen 80. Geburtstag. (A.S.)

Der sympathischste Athlet seiner Zeit

Guido Kratschmer, Zehnkampf-Weltrekordler und Olympia-Boykott-Betroffener 1980, feiert 70. Geburtstag

Von allen Sportlerinnen und Sportlern, die seit Gründung des USC Mainz das Trikot des Vereins getragen haben, hat kaum jemand auch lange nach seinem Karriereende so tiefen Eindruck bei nachfolgenden Generationen hinterlassen wie Guido Kratschmer. Dass er nie Olympiasieger werden konnte, obwohl er - wie alle, die etwas vom Zehnkampf verstehen, sagen - 1980 bei den Boykott-Spielen in Moskau an der Reihe gewesen wäre, hat ihn tief getroffen. "Aus Trotz", wie er sagte, hat er dafür am 14. und 15. Juni 1980 einen Zehnkampf-Weltrekord in Bernhausen (8649 Punkte) aufgestellt. Nun, am 10. Januar, feiert er 70. Geburtstag.

Hallen-Weltrekorde im Siebenkampf 1976 und 1978 hatte Guido Kratschmer zuvor schon inne, dann einen Zehnkampf-Europarekord 1978 ebenfalls in Bernhausen. Als 21-Jähriger hatte er die internationale Elite als damals noch weitgehend unbeschriebenes Blatt mit dem Gewinn der Bronzemedaille bei den Europameisterschaften 1974 überrascht. 1976 gewann er in Montreal die olympische Silbermedaille hinter Bruce Jenner aus den USA. Rund zwei Dutzend Mal holte er, im Mehrkampf, Hürdensprint oder Weitsprung deutsche Meistertitel. 

Er ist auf einem Bauernhof aufgewachsen in Großheubach am Main, wo die Gemeinde eine Turnhalle nach ihm benannt hat. Seit einem halben Jahrhundert ist er Mitglied im USC Mainz, Ehrenmitglied heute. Keiner aber, der sich daran erinnern könnte, dass Guido Kratschmer sich jemals selbst in den Vordergrund gespielt hätte. Es gibt niemanden seiner Klasse, der je bescheidener und anspruchsloser aufgetreten wäre. Der Sportjournalist Robert Hartmann brachte es einmal auf den Punkt: „Guido Kratschmer war der sympathischste deutsche Athlet seiner Zeit." (A.S.)

Eine der besten deutschen Leichtathletinnen aller Zeiten

Die zweifache Olympiasiegerin und Europameisterin Ingrid Mickler-Becker wird am 26. September 80 Jahre alt. Michael Sauer, langjähriger sportlicher Weggefährte und selbst eine Leichtathletik-Legende, portraitiert die vierfache Olympiateilnehmerin

Sie hat nur die drei letzten Jahre ihrer erstaunlichen 15jährigen Leichtathletik-Karriere beim USC Mainz verbracht und ist dennoch die erfolgreichste Athletin in der 60jährigen Geschichte des Universitätssportclubs. Als Professor Berno Wischmann sie Anfang 1969 überredete, nach Mainz zu kommen, hatte sie schon an drei Olympischen Spiele (Rom 1960, Tokyo 1964 und Mexico 1968) teilgenommen, war Olympiasiegerin im Fünfkampf, mehrfache Deutsche Meisterin mit zahllosen deutschen Rekorden über 100 Meter, im Weitsprung, Hochsprung und in der Sprintstaffel, außerdem war sie 1968 bereits „Sportlerin des Jahres“ geworden.

Berno Wischmann musste sie nicht mit finanziellen Anreizen locken; er überzeugte sie aber, dass sich eine berufliche und sportliche Karriere in der besonderen Atmosphäre des USC am besten entwickeln könne. So kam sie 1970 nach Mainz und blieb in Rheinhessen bis heute, obwohl damals auch Bayer Leverkusen sehr an ihrer Verpflichtung interessiert war.

Als 17jährige hatte sich Ingrid Becker im Hochsprung für die Olympischen Spiele in Rom qualifiziert. Bis zum letzten Augenblick war es unsicher, ob sie als Jugendliche überhaupt mit einer Ausnahmegenehmigung würde starten dürfen. Das vorbereitende Trainingslager fand in Mainz statt. Im Rückblick waren die Spiele von Rom diejenigen, die sie geprägt haben: „Bis dahin habe ich Urlaube mit der Familie im Schwarzwald verbracht. Auf der Reise nach Rom saß ich zum ersten Mal in einem Flugzeug, war zum ersten Mal in Rom, habe mit der Sprinterin Jutta Heine ein gemeinsames Zimmer gehabt und konnte außerhalb der Wettkämpfe jederzeit mit einem italienischen Soldaten am Steuer eines Autos die Ewige Stadt durchstreifen.“

Ingrid bekam vom DLV als Betreuer im Wettkampf den damaligen Weitsprung-Trainer Heinz Fallak (später auch Sportwart des DLV) zugeteilt. Der erklärte ihr vor dem Finale, im Hochsprung-Vorkampf werde in alphabetischer Reihenfolge gesprungen. Deshalb sei die Rumänien Jolanda Balas unmittelbar vor ihr dran, und sie könne sich daran orientieren. Was Ingrid nicht bewusst war: Jolanda war damals schon Weltrekordlerin – in ihrer Laufbahn hat sie den Hochsprung-Weltrekord insgesamt 14 Mal verbessert. Das bedeutete: Sie stieg in den Wettkampf erst ein, als alle anderen Springerinnen schon ausgeschieden waren. Ingrid aber glaubte, viel Zeit zu haben, weil Jolanda noch immer entspannt auf der Bank saß, spazierte in aller Gemütsruhe mit ihrem Fotoapparat durchs Stadion und machte Bilder. Erst im allerletzten Moment wurde sie von einem Kampfrichter aufgespürt, der ihr klarmachte, dass ihre Chance vertan war, wenn sie nicht sofort springt. Die Latte lag bereits auf 1,65m, das war damals DLV-Rekord. Der Adrenalinschub verhalf ihr dazu, im ersten Versuch die Höhe zu bewältigen. Danach kamen aber drei Fehlversuche über die nächste Höhe. Das olympische Abenteuer war nach vier Sprüngen beendet. Gemeinsam mit der Deutschen Meisterin Marlene Schmitz-Portz kam sie auf Rang neun.

Vier Jahre später fehlte ihr im Weitsprung-Finale von Tokyo nur ein Zentimter zur Bronzemedaille, die von der Russin Tatjana Schtschelkanowa mit einer Weite von 6,41 Meter gewonnen wurde. Außerdem kam Ingrid im Fünfkampf auf den achten Rang. Der Höhepunkt ihrer sportlichen Karriere kam vier Jahre später in Mexico City, als sie mit 5098 Punkten Olympiasiegerin im Fünfkampf wurde, aber sich auch mit sechsten Rängen im Weitsprung und in der Sprintstaffel achtbar schlug. Damals begann ihre Freundschaft mit dem Boxweltmeister Max Schmeling, der dafür sorgte, dass sie während eines Platzregens beim Hochsprung im Fünfkampf beschirmt wurde: „Der Regen war so heftig, dass im Olympiastadion die Zuschauer fluchtartig das Stadion verließen. Nur eine kleine deutsche Kolonie hat mich im Regen noch angefeuert.“

Im folgenden Jahr 1969 kam es bei den Europameisterschaften in Athen zu einem Boykott der westdeutschen Mannschaft, die wegen des Startverbots für den aus der DDR geflüchteten Mittelstrecklers Jürgen May nur in den Staffelwettbewerben an den Start ging. Ingrid gewann mit der deutschen Sprintstaffel (zusammen mit Bärbel Hähnle, Jutta Stöck und Rita Jahn) Silber in genau 44 Sekunden.

Ein besonderes Jahr war für Ingrid das Jahr 1971. Inzwischen hatte sie den Ingenieur Friedel Mickler geheiratet und war zum USC Mainz gewechselt. Sie gewann in Helsinki den Weitsprung mit 6,76 Meter und die 4 x 100 Meter-Staffel mit Europarekord von 43,3 Sekunden (zusammen mit Elfgard Schittenhelm, Inge Helten und Annegret Irrgang-Richter). Zu den beiden Goldmedaillen kam noch die Silbermedaille im 100-Meter- Lauf, wo sie nur von der DDR-Sprinterin Renate Stecher bezwungen wurde.

1972 in München gewann Ingrid Mickler-Becker ihre zweite Olympische Goldmedaille mit dem neuen Weltrekord von 42,8 Sekunden. Ingrid lief auf der Gegengeraden ein starkes Rennen und trug dazu bei, dass die deutsche Staffel beim letzten Wechsel knapp in Führung lag. Die Experten erwarteten aber, dass auf der Zielgeraden Heide Rosendahl von der Weltrekordlerin Renate Stecher noch abgefangen würde. Die aber wuchs über sich hinaus und kam als Erste ins Ziel.

Mit diesem Olympiasieg endete die Leichtathletik-Karriere von Ingrid Mickler-Becker: „Mir war klar, dass man ein solches Erlebnis und eine solche Atmosphäre nicht mehr toppen kann. In Mainz hatte sie schon seit 1970 Sport, Pädagogik und Soziologie studiert. 1973 gewann sie den Preis des Kultusministeriums für das beste Sportexamen des Jahres.

Bis 1987 war sie Gymnasiallehrerin für Sport und Sozialkunde am Gymnasium Gonsenheim. Dann wurde ihr Mann für zwei Jahre von seiner Firma General Motors in die Vereinigten Staaten versetzt. Ingrid nutzte die Zeit für ein Aufbau-Studium an der Universität Michigan und entdeckte gleichzeitig ihre Liebe für den Golfsport, den sie auch heute noch regelmäßig betreibt.

1990 wurde sie für die CDU für zwei Jahre Staatssekretärin im Sozialministerium von Rheinland-Pfalz. Noch heute ist sie stolz auf das in dieser Zeit entstandene Kindergartengesetz des Landes.

2005 erhielt sie die „Goldene Sportpyramide“ der Stiftung Deutsche Sporthilfe für ihr Lebenswerk als Sportlerin und für die Förderung des Sports. 2006 erfolgte die damit verbundene Aufnahme in die „Hall of Fame des Deutschen Sports“. Und 2009 erhielt sie (zusammen mit Kardinal Marx) die Ehrenbürgerschaft ihrer Heimatstadt Geseke, wo die Micklers heute noch eine Wohnung in Ingrids ehemaligen Elternhaus besitzen.

Hintergrund:

https://www.morgenpost.de/sport/article236509661/Ingrid-Mickler-Becker-Das-Leben-hat-es-gut-mit-mir-gemeint.html

https://www.deutschlandfunk.de/olympia-bewerbung-deutschland-ingrid-mickler-becker-100.html

https://www.dw.com/de/1968-interview-mit-ingrid-mickler-becker/a-18753616

https://www.hall-of-fame-sport.de/mitglieder/detail/Ingrid-Mickler-Becker

Olympiazweite Annegret Wolf-Kroniger 70 Jahre alt

Bei den Olympischen Spielen 1976 gewann die Mainzer Sprinterin Staffelsilber - nach den Spielen berichtete sie von Anabolika-Doping unter Bundestrainer Thiele

Annegret Wolf-Kroniger war unzweifelhaft ein riesiges Sprinttalent. Die in Bochum unter ihrem Mädchennamen Kroniger geborene Leichtathletin war noch keine 20 Jahre alt, als sie 1971 bei den Europameisterschaften Platz fünf über 200 Meter belegte (23,6 Sekunden) und bei den Olympischen Spielen in München in 22,89 Sekunden ebenfalls Fünfte wurde. Auch Deutsche 200-Meter-Meisterin wurde sie 1972. Ihren größten Erfolg errang Annegret Kroniger 1976, als sie Mitglied der 4 x 100 Meter-Staffel bei den Olympischen Spielen in Montreal war. Zusammen mit  Inge Helten, Annegret Richter und Elvira Possekel gewannen die Mainzerin Silber in 42,59 Sekunden. Gold ging diesmal an die DDR-Staffel.

Im März 1977 heiratete Annegret Kroniger den Hochspringer Walter Boller. Die Ehe wurde später geschieden. Die USC-Athletin beendete schon mit Mitte zwanzig ihre erfolgreiche Karriere. In deren Verlauf hatte sie 1974 auch Staffel-Silber bei den Europameisterschaften 1974 (mit Elfgard Schittenhelm, Annegret Richter und Inge Helten in 42,75 Sekunden) gewonnen. Sogar ein Weltrekord - über 4 x 110 Yards (1 yard = 0,9144 m), erzielt am 17. Juli 1975 in Durham/USA - führt das "Biographische Handbuch zur Geschichte der Deutschen Leichtathletik" von Klaus Amrein auf, ferner Deutsche Rekorde über handgestoppte 11,1 Sekunden über 100 Meter 1976 und jene besonders wertvollen aus den späten Teenagertagen über 200 Meter aus 1972 (23,10 Sek.; 22,89).

Sporthistorisch sind aber nicht nur ihre sportlichen Leistungen von Bedeutung. Annegret Kroniger ist auch eine wichtige Zeitzeugin, die eine bis heute nachwirkende Mitteilung zu machen hatte. Denn sie legte nach ihrem Rücktritt im Anschluss an die Spiele von Montreal 1977 öffentlich, dass sie selbst auf Anweisung von Bundestrainer Wolfgang Thiele mit Anabolika gedopt habe. Dass sie diesbezüglich nicht das einzige Staffelmitglied war, sondern Anabolikadoping unter Thieles Kommando gängige Praxis im westdeutschen Frauensprint über mindestens eineinhalb Jahrzehnte wurde, gilt längst als Allgemeinplatz. Die Doping-Aufklärerin Brigitte Berendonk schrieb dazu in einem für eine Sportärztetagung 1978 erstellten Vortragsmanuskript mit dem Titel "Brutalisierung im Sport":

"Wie verführt man Mädchen zum Doping? Wie die Sprinterin Annegret Boller-Kroninger bekannte, lief bei ihr die ganze Doping-Aktion in mehreren Stufen ab. Sie begann bezeichnenderweise mit Aufwärm- und Animiervortrag des aus der DDR gekommenen und offensichtlich den dortigen Dopingpraktiken sehr stark nachtrauernden - Dr. A. Mader (Sporthochschule Köln) an, der eigens dazu - privatissime und gratis (?) nach Berlin kam. (Bei solchen Aktionen ist Dr. Mader offensichtlich von seinem Chef, Prof. W. Hollmann, gedeckt, der derweil im Hintergrunde seine Hände in akademischer Unschuld waschen kann.) Die beabsichtigte Wirkung wurde dann auch prompt erzielt: Annegret Kroninger war bereit, zur Droge zu greifen, und ließ sich Dianabol verschreiben. Daß bei dieser Athletin anschließend - alleingelassen - in der Universitätsklinik Mainz verschlechterte Leberfunktionswerte registriert wurden, interessierte dann schon keinen mehr. Nach Erklärungen des Vorsitzenden des zuständigen DLV-Landesverbundes Rheinhessen, Willi Oehlenschläger, haben hohe DLV-Funktionäre von diesen Aktionen gewußt, und DLV-Leistungsreferent Blattgerste und DLV-Vizepräsidentin Ilse Bechthold haben versucht, die Athletin zum Stillschweigen darüber zu bewegen."

Das Frauendoping im bundesdeutschen Sport mit Anabolika kam sogar im Rahmen einer Anhörung zum Thema Doping im Sportausschuss des Deutschen Bundestages zur Sprache - ohne dass dies jemals negative Konsequenzen für dessen Anstifter nach sich gezogen hätte. Das Doping des Westens war offenkundig staatlich gewollt und schreckte auch davor nicht zurück, Sportlerinnen zu androgenisieren. Genaueres wollten die Öffentlichkeit und Medien anscheinend nicht wissen. Trainer wie den noch viele Jahre weiter als Anabolikadoper wirkenden Wolfgang Thiele zeichnete die Nation mit Bundesverdienstkreuzen aus. Athletinnen wie Annegret Wolf-Kroniger, die mir ihrem mutigen Geständnis der Öffentlichkeit Einblick gewährte in die Manipulationspraktiken, derer sich auch der westdeutsche Sport bediente, gerieten hingegen leicht in Vergessenheit. Am 24. September wurde sie 70 Jahre alt. (A.S.)

Eine Pionierin der Leichtathletik

Helga Letzelter revolutionierte als erste deutsche Flop-Springerin vor über 50 Jahren den Frauenhochsprung. Heute feiert die ehemalige deutsche Rekordhalterin ihren 80. Geburtstag

Mainz, 11. September 2022. Helga Letzelter eine Pionierin der deutschen Leichtathletik zu nennen, ist keine Übertreibung. Die am 11. September 1942 in Madrid geborene und in Recklinghausen aufgewachsene Fünfkämpferin und Hochspringerin sprang als erste Deutsche im damals noch höchst umstrittenen Fosbury-Flop und erzielte damit spektakuläre Verbesserungen im Hochsprung. Acht Jahre lang sei die seit 1966 in Mainz beheimatete Sportlerin auf 1,59 Meter abonniert gewesen. Dann, so jedenfalls schreibt der „Kicker“, habe der Mainzer Sportprofessor Berno Wischmann ihr geraten: „Spring doch mal den Fosbury-Flop!“ Nach anderer Darstellung, nämlich der Erinnerung ihres Ehemannes Professor Manfred Letzelter, habe sich die Athletin sehr früh und aus eigenem Antrieb der neuen Hochsprungtechnik zugewandt. Das Ergebnis war so oder so spektakulär – zehn Zentimeter höher ging es für Helga Krieß, wie sie damals noch hieß, 1969, im Jahr nach dem sensationellen Auftritt des US-Amerikaners Dick Fosbury bei den Olympischen Spielen 1968 in Mexico City.

Ihre Pionierleistung fand beträchtlichen medialen Widerhall. Das Fernsehen berichtete. Auf der Titelseite des Jahrbuchs des Deutschen Leichtathletik-Verbandes 1969/70 ist Helga Letzelter abgebildet. Die BILD-Zeitung widmete ihr und ihrer innovativen Sprungtechnik eine halbe Seite. Und der „Kicker“ (s.u.) zeigte ihre Sprünge auf mehreren Fotos, fand es aber auch bedeutsam abzulichten, wie sie sich die Haare machte.

„Helga kopierte den Olympiasieger“, so überschrieb das Fußball-Magazin seine Seite in einer seiner Ausgaben 1969. Die USC-Athletin, die in Mainz am damaligen, von Berno Wischmann nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem Boden gestampften Staatlichen Hochschulinstitut für Leibeserziehung 1967 ihr Examen als Diplomsportlehrerin abgelegt und zuvor auch in Münster und Freiburg studiert hatte, wurde 1969 Deutsche Vizemeisterin in der Halle. Im Jahr darauf sprang sie, inzwischen mit dem Sportwissenschaftler, Sprinter und (ihrem) Trainer Manfred Letzelter verheiratet und als Sportlehrerin an Gymnasien in Pirmasens und Gießen tätig, im Rahmen der Deutschen Mannschafts-Meisterschaften mit 1,73 Metern einen neuen bundesdeutschen Rekord.

1971 wurde ihr Sohn Stefan geboren, der 1998 Deutscher Meister über 400 Meter werden sollte. 1973 begann Helga Letzelter, nach in Bonn absolviertem Staatsexamen in Leibeserziehung und Pädagogik, ihre Lehrtätigkeit am Fachbereich Sport der Johannes Gutenberg-Universität Mainz als Lehrkraft für Leichtathletik und Sportspiele. Nach ihrer Promotion im Fach Erziehungswissenschaft an der Universität Graz wurde sie 1977 an der Universität Mainz Professorin für Sportwissenschaft mit den Schwerpunkten Theorie der Sportspiele und Trainingswis­senschaft. 1986 bis 1990 wirkte sie als Dekanin des Fachbereichs Sport und Sportwissenschaft der Universität Mainz. Sie war damit die erste Frau dieser Hochschule, die einen Fachbereich leitete. 1991 habilitierte sie sich. Sie begleitete ihre Professur bis zur Emeritierung 2005.

Während ihrer Zeit als aktive Leichtathletin war sie bereits vor ihrem aufsehenerregenden Wechsel der Hochsprungtechnik, der ihr drei Nominierungen zu Länderkämpfen einbrachte, erfolgreich. Bei der Universiade in Tokyo 1967 wurde sie Fünfte im Fünfkampf  mit 4071 Punkten, sie gewann Titel bei Deutschen Hochschulmeisterschaften im Hochsprung, über 80 Meter Hürden und im Fünfkampf  und stand mehrfach bei Deutschen Meisterschaften in den Finals.

Helga Letzelters Pionierleistung im Hochsprung mag heute, mehr als ein halbes Jahrhundert später, als logische Weiterentwicklung einer anspruchsvollen technischen Disziplin erscheinen. Damals war die neue Technik international jedoch zunächst höchst umstritten. „Es gibt noch viel mehr Sandhaufen als man annehmen möchte“, so zitierte der „Spiegel“ (Nr. 30/20. Juli 1969) einen Leserbrief im Fachmagazin „Leichtathletik“. Auch mangelhafte Hochsprungmatten in der Anfangszeit des Flops führten immer wieder zu  Verletzungen. „Flop-Erfinder Fosbury prellte sich selbst auf einer unzureichenden Anlage zwei Rückenwirbel und quetschte sich bei einer Flop-Vorführung in einem Fernseh-Studio die Nieren“, so schrieb der „Spiegel“ weiter. Ärzte warnten vor dem Flop, und sein Erfinder Fosbury bekam von empörten Eltern Post, „nachdem Ihre Kinder beim Heimtraining Sessel und Couches zu Bruch gefloppt hatten“. Der russische Weltrekordhalter Valeriy Brumel, ein überzeugter Straddle-Springer, befürchtete gar den „Salto mortale“.

Aufzuhalten aber war diese leichtathletische Revolution längst nicht mehr. Der „Spiegel“ berichtete im Juli 1969 ebenfalls von der enormen Leistungssteigerung der Mainzerin Helga Krieß um zehn Zentimeter auf 1,69 Meter in der zurückliegenden Hallensaison. Und bereits im Sommer desselben Jahres, so das Magazin weiter, seien vier Schweizerinnen und drei Französinnen im Flop über 1,70 Meter gesprungen. Meta Antenen, der „ersten Schweizer Leichtathletik-Ikone“ (Suisse Athletics, 30.01.2021), habe der Umstieg auf den Flop gar zu einem Fünfkampf-Weltrekord (mit 1,71 m im Hochsprung) Anfang Juli 1969 verholfen. (A.S.)